Lesen und verstehen
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Texte lesen und verstehen
Beim Lernen einer Fremdsprache müssen wir drei Lernziele berücksichtigen:
- pragmatische Ziele
- kognitive Ziele
- emotionale Ziele
Bei den pragmatischen Zielen denken wir vor allem an die sog. „kommunikative Kompetenz”. Die „kommunikative Kompetenz” wird im Fremdsprachenunterricht in der Regel in vier Teilbereichen, den Fertigkeiten, Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen und Schreiben konkretisiert. Wichtig ist das alle vier Fertigkeiten (Kompetenzen) im Lernprozess entwickelt werden.
Die Fertigkeiten können wir als:
produktive [Sprechen und Schreiben]
oder
rezeptive [Hören und Lesen] bezeichnen.
Das Ziel der produktiven Kompetenz:
- die Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich angemessen (d.h. dem Ziel entsprechend) zu äußern.
Das Ziel der rezeptiven Kompetenz:
- die Fähigkeit, authentische Hör- und Lesetexte (in der Fremdsprache) zu verstehen.
Fertigkeit Lesen
Der Unterricht zur Entwicklung der Lesewertigkeiten in der Fremdsprache soll die Lernenden befähigen, einem Text selbständig die erwünschten Informationen zu entnehmen.
In der Grammatik-Übersetzungsmethode wurden die Texte meist vom Buchautor selbst geschrieben und waren genau auf den Lernstand der Schüler abgestimmt. Ihr einzige Zweck war es, als Vorlage für Aufgaben zur Lexik bzw. zur Grammatik zu dienen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Lernenden auch außerhalb der Lernsituation solchen Texten begegnen war sehr gering. Es ist also wichtig mit Authentischen Texten zu arbeiten.
Authentische Texte – „echt”, „den Tatsachen entsprechend”
Damit werden von Muttersprachlern verfasste Texte und Materialien gemeint, die nicht
oder nur wenig für den Fremdsprachunterricht bearbeitet wurden und deren ursprüngliche
Merkmale deutlich erkennbar sind.
Zu den authentischen Texten zählen wir:
- Gebrauchstexte (Straßenschilder, Informationszettel, Anzeigetafeln, Fahrpläne,
Gebrauchsanweisungen)
- Zeitungs- und Zeitschrifttexte (überwiegend Informationstexte)
- Texte die zum persönlichen Vergnügen gelesen werden (Romane,
Gedichte, Briefe)
Leseverhalten / Lesestrategien/ Lesestil
Jeder Textsorte obliegen eigene, im Wesentlichen, ungeschriebene Gesetze im Hinblick auf formale und inhaltliche Aspekte. Sie haben alle Folgen für das Leseverhalten, das ein bestimmter Text implizit hervorruft.
Vor dem Lesen sollte der Leser also:
- die Textsorte Identifizieren.
- folgende Fragen beantworten:
· Was ist das Thema?
· Was weiß ich schon über das Thema?
· Warum lese ich den Text?
In der Literatur werden verschiedene „Lesestile“ genannt, die zu einer unterschiedlichen Tiefe des Textverstehens führen. Zum Beispiel:
-orientierendes Lesen, "scannen"
sich schnell die Schlagzeilen anschauen um entscheiden zu können, was man sich genauer anschauen möchte.
-extensives Lesen
flüchtiges Lesen. Ziel ist es, möglichst schnell ein globales Textverständnis zu erreichen.
- intensives Lesen
einen Text insgesamt lesen und verstehen wollen
-zyklisches Lesen
einen Text zunächst "scannen", dann extensiv und anschließend intensiv lesen. Manchmal wiederholt extensiv und intensiv.
Alle Texte können auf unterschiedliche Art gelesen werden ( das hängt von persönlichen Eigenschaften, Interessen und nicht zuletzt vom Temperament der lesender Person ab). Es ist jedoch so, dass bestimmte Textsorten, bestimmte Lesearten erzwingen.
Hier weitere Beispiele:
Textsorte |
Leseinteresse |
Leseart |
z.B. Fachliteratur |
Worum geht es?
|
orientierendes/globales Lesen Überfliegen von Texten, Entscheidung -will ich das weiter lesen Hauptinformationen |
z.B. Zeitungsberichte, Romane |
Was ist das Wesentliche? |
kursorisches Lesen Grobes Erfassen der Hauptinhalte und Gesamtstruktur von Texten. (Haupt-+ Nebeninformation) |
z.B. Fahrpläne |
Wo steht was ich wissen will? |
selektives Lesen Auswahl und Konzentration auf bestimmte Textteile suchendes lesen |
z.B. Gedichte |
Ganz genau hingucken! |
totales LesenLesen des gesamten Textes, Erfassen aller Informationen |
Lesestile und Leseziele stehen in engen Zusammenhang. Wie wir einen Text lesen, ist eng mit dem Leseziel und auch mit der Leseinteresse verknüpft. Um es noch mal kurz zu fassen:
Leseziel |
Lesestil |
Beispiel |
genau wissen |
detailliertes Lesen (=totales Lesen) |
Gebrauchsanweisung (ich will wissen wie der Apparat funktioniert) |
sich einen Eindruck verschaffen |
globales Lesen (=kursorisches Lesen) |
Überfliegen von Artikel, wie steht die Sache (ist die Regierung für oder dagegen) |
eine spezifische Information finden |
suchendes Lesen (=selektives Lesen) |
Fahrplan (mich interessiert wann der Zug nach Berlin abfährt) |
herausfinden was die Hauptsache und was die Nebensache in einem Text ist |
sortierendes Lesen (=orientierendes Lesen) |
Hauptpunkte herausfinden, (was muss ich lesen und was kann ich auslassen) |
Wichtig ist, dass die verschiedenen Lesestile meist nicht in „reiner Form” sondern „gemischt” vorkommen also wir haben meist mit konzentrischem Lesen zu tun.
Lernziele
Die wichtigsten Lernziele des Unterrichts in Bezug auf Leseverstehen
- die Schüler sollen, aufgrund eines bestimmten Informationsbedarfs, feststellen können, ob der betreffende Text diese Information enthält und sie mit anderen Informationen vergleichen können. (also: selektiv lesen)
- die Schüler sollen die Hauptgedanken eines Textes wiedergeben können und sie mit anderen Informationen vergleichen können. (Vergleiche ziehen und Schlussfolgerungen ziehen)
- die Schüler sollen kompensierende Strategien anwenden können
Texte didaktisieren
Das Vorgehen bei der Arbeit mit einem authentischen Text
1. Die Vorentlastung
Ein schwieriger Text soll leichter und zugänglich gemacht werden. Es kann auf verschiede Weise geschehen, z.B.:
- Vereinfachung
- Verkürzen
- Aufgliederung
- Zubringetext
- Außersprachliche Verdeutlichung
- Aktivierung des Vorwissens
- Verwendung der Muttersprache
2. Das Lesen eines authentischen Textes
Der Text wird leise gelesen. Die Bedeutung neuer Wörter sollte aus dem Kontext hervorgehen. Dann folgen Übungen:
- Übungen zum Textinhalt
- Multiple-Choice-Fragen
- Den Text schneiden und ordnen
- Lückentexte
- Abschnitte finden
- Bestimmte Orte markieren
- Informationen notieren (Diagram, Tabelle)
3. Nach dem Lesen
Nach dem zweiten Lesen des Textes sollte der Lehrer:
- Fragen zur Diskussion stellen.
- Den Text umformen lassen. (z. B. Der Schüler erzählt den Inhalt aus der Sicht einer anderen Person).
- Weitere Beispiele nennen.
4. Hausaufgabe
Die Schüler sollen z.B. einen Brief schreiben; Vorteile und Nachteile die im Text vorkommen, nennen; oder andere Beispiele nennen.
Entwurf einer Lektion: Leseverstehen
Didaktisierung eines authentischen Textes
Lesetext: Warum Verzeihen so wichtig ist?
Klasse: IV Lyzeum, 15 Schüler, 2 Stunden pro Woche
Gesamtzeit: 90 Minuten (2 Unterrichtseinheiten)
Ziele:
Grobziele:
- Leseverstehen – der Schüler versteht einen Text und kann verschiedene Satzstrukturen im Zusammenhang mit dem Text bauen.
- Erweiterung der Lexik, Entwicklung der sprachlichen Kompetenz im Leseverstehen und Schreiben.
- Die Schüler können zusammenarbeiten.
Feinziele:
1. Der Schüler kann einen Text nach dem Inhalt teilen.
2. Der Schüler kann die Satzstrukturen mit dass, und um zu formulieren.
3. Der Schüler kann die Verben in der richtigen Form anwenden.
4. Der Schüler erweitert seinen Wortschatz im Zusammenhang mit dem Thema Verzeihen.
Arbeitsformen: Frontal- und Gruppenarbeit
Materialien:
1. Der Text Warum Verzeihen so wichtig ist?
2. Arbeitsblätter und ein Assoziogramm.
Vorwissen
1. Das Gespräch über Konflikte und Verzeihen (in der Muttersprache): Konflikte in der Familie, zwischen den Freunden – warum gibt es Missverständnisse? Wie kann man diese Konflikte beenden? Gib bitte einige Beispiele aus deinem Leben.
2. Die Schüler geben Assoziationen zum Thema Verzeihen:
Assoziationen
kein Streit mehr |
um Verständnis bitten |
Verzeihen sich entschuldigen Vergeben Recht geben einen Streit beenden einen Konflikt beenden einen Freund gewinnen
PRÄSENTATIONSPHASE
Erstes Lesen des Textes mit den Stichwörtern:
a) Leute sind oftmals so tief verletzt, dass sie das nicht vergessen können.
b) Manche Leute wollen nicht verzeihen, obwohl sie sich durch vergeben besser fühlen könnten.
c) Verzeihen bedeutet nicht, dass man schwach ist; es bedeutet, dass man sich selbst frei macht.
d) Verzeihen kann man üben – zuerst mit leichteren Kränkungen.
e) Man sollte seine Gefühle an den Menschen schreiben, der uns verletzt hat.
f) Man sollte auf keinen Fall an seiner Wut festhalten! Vergeben braucht keine Konfrontation.
g) Es ist wichtig, das Geschehene aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten - das lernt tolerant zu sein.
h) Meditation und Beten hilft uns verzeihen zu können.
i) Verzeihen heißt nicht vergessen.
ÜBUNGSSPHASE
Zweitens Lesen des Textes und ein Flussdiagramm.
Konflikt |
Verzeihen |
Zorn |
Missverständnis |
Die Schüler sollen folgende Wörter nach dem Sinn ordnen:
TRANSFER – PHASE (Übung zum Text Inhalt)
Ergänze bitte die Sätze:
- Ich schreibe einen Brief, um jemandem ...................................................................... .
- Vergeben heißt nicht, dass man ................................................................................... .
- Um die Sache zu verstehen, soll man die Dinge ........................................................... ....................................................................................................................................... .
- Um sich von den bitteren Gefühlen zu befreien, kann man bei einem Freund Luft .....
....................................................................................................................................... .
TESTPHASE
Ergänze bitte die Lückensätze.
1. Entschuldige bitte, dass ich ................................................... (zu spät kommen)
2. Verzeih mir, dass ich ...................................................................... (verletzen)
3. Es tut mir leid, dass ich ...................................................................(schlimme Dinge sagen)
4. Vergib mir, dass ich deinen .............................................................(Geburtstag vergessen)
Hausaufgabe.
- Schreibe bitte einen Brief an deine Freundin (an deinen Freund), die (der) dich verletzt hat. Sag ihr (ihm), wie schlecht du dich fühlst.
- Schreibe bitte einen Brief an deine Freundin (an deinen Freund), bei der (bei dem) du dich für etwas entschuldigen willst.
Man muss nicht von jedem Text jedes Wort verstehen!
Lesen heißt nicht übersetzen!
Zum Abschluss möchten wir einige Tipps nennen, die vom Goethe Institut vorbereitet wurden.
Wie liest und versteht man fremde Texte?
Tipps zum Entschlüsseln deutscher Texte
Leseverstehen in der Fremdsprache geschieht ähnlich wie in der Muttersprache.
Lesen ist eine aktive Auseinandersetzung mit dem, was der Autor geschrieben hat.
Als Leser benutztst du schon vorhandenes Wissen (Sach- und Handlungswissen), um einen fremden Text zu entschlüsseln.
Übersicht
- Globalverstehen
- Vorwissen
- Überschrift
- Form
- Bilder
- Schlüsselwörter
- Internationalismen
- Kontext
- Struktur
- Verknüpfungen
Globalverstehen
Versuche nicht, Wort für Wort zu verstehen, sondern mit deinem eigenen Wissen den Sinn des Textes gezielt zu erschließen. Benutze nicht jedes Mal das Wörterbuch, wenn du ein Wort nicht verstehst.
Vorwissen
Versuche zuerst festzustellen, um was für einen Text es sich handelt: Du weißt schon mehr über den Inhalt des Textes, als du denkst. Fragen, die dir dabei helfen :
- Wer hat den Text geschrieben?
- An wen richtet sich der Text? (Zielgruppe)
- Was will der Autor wahrscheinlich erreichen?
Überschrift
Die Überschrift ist ein wichtiger Anhaltspunkt: Sie sagt oft etwas über das Thema des Textes. Zu vielen Themen weißt du schon etwas.
Form
Das Layout und die Form können viel über einen Text verraten. Ist es ein Artikel in einer Zeitschrift, ein Internet-Magazin, ein Gedicht, ein Werbetext, eine E-Mail usw.?
Bilder
Bilder können oft helfen, den Text verständlicher zu machen.
Schlüsselwörter
Schlüsselwörter sind Wörter, die im Text besonders wichtig sind. Sie können dir helfen, den Text global zu verstehen und seine Hauptaussage zu erkennen.
Internationalismen
Wenn du einen Text zum ersten Mal liest, achte auf internationale Wörter, die du schon aus einer anderen Sprache kennst: z.B. Hotel, Internet, Computer usw.
Kontext
Wenn du ein fremdes Wort trotz dieser Bemühungen immer noch nicht verstehst, schau dir an, was in dem Satz vor und nach dem unbekannten Wort steht. So kannst du häufig den Sinn des Wortes erraten.
Struktur
Du kannst auch die innere Struktur des Textes benutzen, um ihn besser zu verstehen. Dazu kannst du zum Beispiel den Handlungsablauf einer Geschichte mit Hilfe eines Flussdiagramms oder Bildes darstellen.
Verknüpfungen
Eine wichtige Rolle beim Verstehen eines Textes spielen die Elemente, die die Sätze und den Text verknüpfen: die Satzverknüpfungen. (Konjunktionen wie als, damit, und; Pronomen wie dieser, dazu etc.)
Literaturverzeichnis
Hans-Georg Albers, Sibiylle Bolton,
Testen und Prüfen in der Grundstufe München 1995
Henk Boog, Kees van Eunen, Bernd Kast, Rik de Kock, Harry Verschuren
Lesespass München 1989
Bahlmann, Breindl, Dräxler, Ende, Storch, Unterwegs- Lehrwerk für die Mittelstufe,
Gertrude Heyd, Deutsches lehren Frankfurt am Main 1990
Dietmar Röstler Deutsch als Fremdsprache Stuttgart 1994
Seibert Stollwerk, Schritte, Pasos, Passi, Steps, Pas München 1986
Günter Storch, Deutsch als Fremdsprache-Eine Didaktik München 1999
Axel Vielau, Methodik des kommunikativen Fremdsprachsunterrichts Berlin 1997
Gerard Westhoff, Fertigkeit Lesen München 1991
Günter Zimmermann, Elke Weißer-Kurzawa, Grammaitik lehren-lernen-selbslernen
[Forum Sprache] München 1985