13 August 1961 - Der Mauerbau
,,An dem Tag wusste ich: Jetzt sind wir eingemauert! Jetzt sind wir ohne Alternative. Du bist jetzt hier eingesperrt. Es war sehr schwer."
Radio-Interview mit Friedrich Schorlemmer
(Studienleiter an der ev. Akademie Wittenberg, Ex-DDR-Bürgerrechtler, SPD)
,,Wir hörten immer: Die machen dicht, die machen dicht. Und alle sagten: Nein! Das kann nicht sein. Man kann nicht ein ganzes Volk einsperren. Das lässt sich keiner gefallen. Na ja, als ich zurückkam, war die Mauer da."
,,An dem Tag wusste ich: Jetzt sind wir eingemauert! Jetzt sind wir ohne Alternative. Du bist jetzt hier eingesperrt. Es war sehr schwer."
1. Einleitung
Aufgrund der Unzufriedenheit mit den ökonomischen und politischen Verhältnissen (Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, Zurückdrängung des privaten Handwerks, Versorgungsschwierigkeiten) kehrten in den ersten Jahren der DDR immer mehr Menschen dem sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat den Rücken. Vom 1. Januar bis zum 15. August 1961 flüchteten 159.730 Personen aus der DDR in die Bundesrepublik / West-Berlin. Von 1949 bis 1961 waren es über zwei Millionen Menschen. Am 27.11.1958 hatte UdSSR-Ministerpräsident Chruschtschow in einem Berlin-Ultimatum gefordert, dass die westalliierten Truppen aus West-Berlin abziehen sollten und West-Berlin innerhalb von sechs Monaten zu einer ,,Freistadt" gemacht wird. Am 17.2.1959 folgte die Drohung eines separaten Friedensvertrags mit der DDR. Das Treffen zwischen US-Präsident Kennedy und UdSSR-Ministerpräsident Chruschtschow am 3./4.6.1961 in Wien endete ohne erkennbare Ergebnisse.
Allgemein wurden Maßnahmen der DDR erwartet, die Fluchtwelle zu unterbinden. Auf einer internationalen Pressekonferenz am 15. Juni 1961 antwortete Walter Ulbricht einer Journalistin: ,,Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. (...) Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."
2. Der Mauerbau
Eine Woche vor dem 13. August 1961 berichtete die Wochenzeitung ,,Der Spiegel": ,,Als einzig wirksame Maßnahme, den Flüchtlingsstrom abzustoppen, bietet sich der SED noch die Radikallösung an, die Sektorengrenze innerhalb Berlins für alle DDR-Bürger zu sperren (...) Wenn es Ulbricht nicht gelingt, die Massenflucht einzudämmen, ist seine Chance gleich Null, den Lebensstandard der Bevölkerung so zu heben, dass sie willens wäre, die Inkommoditäten des volksdemokratischen Alltags (...) in Kauf zu nehmen." Aus der DDR flohen zumeist jüngere und qualifizierte Personen in den Westen. Die Fluchtwelle musste demnach verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft der DDR haben.
Die Zonengrenze war 1961 auf 1378 Kilometern in ganzer Länge mit Stacheldraht und Minen abgeriegelt. Das einzige verbliebene Schlupfloch in den Westen war Berlin.
Am Sonntag, 13. August 1961, wurde bei allen bewaffneten Kräften der DDR um 0.00 Uhr Gefechtsalarm ausgelöst. ,,Wir waren kaum an der Grenze, da war auch Erich Honecker da und überzeugte sich, ob unsere Panzer und andere Einheiten auch an der richtigen Stelle standen", erinnert sich DDR-Verteidigungsminister Hoffmann. Volkspolizei und Volksarmee riegelten die Sektorengrenzen nach Westberlin fast hermetisch ab. Überall rissen sie Straßen auf, errichteten sie Panzersperren und Stacheldrahtverhaue.An zentralen Punkten fuhren Panzer auf. Der durchgehende U- und S-Bahn-Verkehr wurde unterbrochen. Bewohnern Ost-Berlins und der DDR wurde das Betreten West-Berlins verboten. In den folgenden Tagen ersetzten Bautrupps unter Bewachung die provisorischen Befestigungen durch eine feste, zwei Meter hohe Mauer. In Häusern, die an der Sektorengrenze lagen, wurden Fenster und Türen zugemauert. Die Grenzposten hatten den Befehl erhalten, aus der DDR flüchtende Personen zu erschießen. Empörung und Verbitterung in der Berliner Bevölkerung waren groß.
,,Dokumente der Grenztruppen der DDR aus den 60er Jahren enthalten Angaben über die materiellen Aufwendungen zur Abriegelung der Grenze: 18.200 Betonsäulen, 150 Tonnen Stacheldraht (z.T. in Westdeutschland gekauft), 110 Festmeter Holz, 5 Tonnen Bindedraht und 2 Tonnen Krampen."
Das Straßenpflaster in der Friedrich-Ebert-Straße wird aufgerissen, um den Fahrzeugverkehr unmöglich zu machen.
DIA-Reihe der Polizeihistorischen Sammlung / Polizeipräsident von Berlin
Einige Personen schafften trotz des Mauerbaus noch den Durchbruch in den Westen. Die DDR meldete 372 erfolgreiche Grenzdurchbrüche. ,,Dazu wurden 20 Lkws, ein Kranwagen und weitere Kraftfahrzeuge benutzt." Einige Menschen starben beim Versuch, die Mauer zu überwinden. So starb ein Mann bei dem Versuch, sich aus einem Haus in Ostberlin in den Westen abzuseilen. ,,1962 starben 12 Personen durch die Einwirkung von Minen."
Die Grenze wurde in den Folgemonaten des 13.8.1961 stark bewacht. Die Luftstreitkräfte befanden sich in ständiger Einsatzbereitschaft.
Die Grenze West-Berlins zu Ost-Berlin und zur DDR war 166 km lang und mit einem tiefgestaffelten System von Sperranlagen versehen. Auf etwa 107 km davon stand eine Mauer. Die ausgebauten Grenzanlagen boten Ende 1961 das folgende Bild: Es begann mit einer etwa 4 m hohen Betonplattenwand, die zumeist mit einer Betonröhre gekrönt war. Dahinter (auf ,,östlicher" Seite) verlief ein beleuchteter Kontrollstreifen, der sogenannte ,,Todesstreifen". Flüchtlinge, die ihn bereits erreicht hatten, wurden ohne Vorwarnung beschossen. Es folgte ein Graben, der den Durchbruch von Fahrzeugen verhindern sollte. Danach kamen ein Patrouillenweg, Hundelaufanlagen, Wachtürme, Schutzbunker und schließlich eine zweite Mauer.
Dieses Bild zeigt den Aufbau der Grenzanlagen (wie oben beschrieben).
3. Auswirkung der Mauer auf die DDR
Am Tag des Mauerbaus gab die SED eine Erklärung ab, in der die Mauer als Akt der ,,Friedenssicherung" gerechtfertigt wurde. Darin heißt es, dass DDR-Bürger, die Westdeutschland besuchten, terroristischen Verfolgungen ausgesetzt seien. Die Grenzkontrolle wird als notwendiger Akt zur Erhaltung der Souveränität der DDR bezeichnet. Die Mauer solle demnach die DDR und ihre Bürger schützen. Später wurde der Begriff ,,antifaschistischer Schutzwall" als Bezeichnung für die Mauer geprägt.
Die Bevölkerung reagierte zu weiten Teilen mit Wut oder Verzweiflung auf den Bau dieses ,,antifaschistischen Schutzwalls". Dies erkannte die SED und versuchte rasch, durch Verordnungen die Wut der Menschen zu kontrollieren. Als wichtiges Instrument der SED entwickelte sich die FDJ. Am 13. August 1961 sagte Horst Schumann, 1. Sekretär der FDJ: ,,Mit Provokateuren wird nicht diskutiert. Sie werden erst verdroschen und dann den staatlichen Organen übergeben." Der aufkeimende Widerstand konnte nach dem Mauerbau schnell und nachhaltig gebrochen werden.
Die Führungsspitze schien durch den Bau der Mauer ihr Ziel erreicht zu haben. Die wirtschaftliche Situation der DDR entspannte sich deutlich. Die Effizienz der Wirtschaft rückte in den Mittelpunkt der Arbeit von der SED. Die Bevölkerung musste sich mit ihrem Regime arrangieren, da ihr die Möglichkeit zur Flucht gewaltsam genommen worden war.
In Moskau verkündete die sowjetische Führung den Beginn einer erneuten ,,Entstalinisierungsphase". Die SED versuchte gleichzeitig, sich von der völlig unkritischen Übernahme des sowjetischen Systems zu lösen. Sie geriet sogar in ideologische Konflikte mit den Sowjets, weil sie dem Aufbau der DDR Modellcharakter zumindest für hochentwickelte Industriestaaten zuschrieb.
Die KPdSU unter Chruschtschow beschloss auf ihrem Parteitag 1961 (17.-31. Oktober 1961), das ,,Berlin-Ultimatum" aufzuheben und die Entstalinisierung der Partei voranzutreiben. Dieser neue Kurs beeinflusste auch die SED in der DDR. Am 13. November wurde Stalinstadt in Eisenhüttenstadt umbenannt. Die Ost-Berliner Stalinallee erhielt den Namen Karl-Marx-Allee. Außerdem wurde das Stalin-Denkmal in Ostberlin abgebaut.
Im Januar 1963 beschloss die SED ihr erstes Parteiprogramm. Darin verkündete sie die ,,klassenlose Gesellschaft" als Ziel ihrer Politik.
4. Reaktion im Westen
Der Osten sprach vom ,,antifaschistischen" oder ,,antiimperialistischen Schutzwall" und einer friedenssichernden Maßnahme, der Westen von der ,,Schandmauer".
Willy Brandt, der damals Regierender Bürgermeister von Berlin war, gab am 13. August 1961 eine Erklärung ab. Darin bezeichnet er den Bau der Mauer als ,,empörendes Unrecht". Das DDR-Regime habe sich über ,,Gebote der Menschlichkeit" hinweg gesetzt. Brandt sah den Bau der Mauer als Eingeständnis Ulbrichts, dass seine Politik versagt habe. Die SED konnte die Menschen nur in der DDR halten, indem sie sie mit Mauern einsperrte. ,,Eine Clique, die sich Regierung nennt, muss versuchen, ihre eigene Bevölkerung einzusperren", sagte Brandt im Abgeordnetenhaus Berlins.
Doch die Staatschefs von der BRD, den USA, Großbritannien und Frankreich reagierten zunächst überhaupt nicht auf den Mauerbau. Adenauer befand sich im Bundestagswahlkampf, Kennedy war im Urlaub und segelte, MacMillan jagte und de Gaulle war auf seinem Landsitz.
Am 22. August traf Bundeskanzler Adenauer in Berlin ein. Er versuchte, den Ernst der Situation herunterzuspielen und sagte, es bestünde kein Grund zur Panik. Die Westmächte protestierten zwar gegen die Mauer - mehr allerdings nicht. Niemand wollte wegen Berlin einen Krieg riskieren.
Die Ereignisse in Berlin überschatteten den Wahlkampf zur Bundestagswahl am 17. September 1961. Der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt, populär geworden als Berlins Bürgermeister in der Krisenzeit, konzentrierte sich nun ganz auf die Probleme der geteilten Stadt. Die CDU/CSU blieb zunächst bei wirtschaftspolitischen Themen, als sei nichts geschehen. Damit geriet Adenauer zunehmend in die öffentliche Kritik. Gegenüber 1957 verloren CDU und CSU 4 Prozent der Stimmen bei der Wahl. Die SPD gewann 4,5 Prozent. Adenauer verpflichtete sich, nach zwei Jahren zurückzutreten.
Am 23. Juni 1963 besuchte US-Präsident Kennedy Berlin. Die Einwohner Berlins begrüßten Kennedy mit überschwänglichem Jubel, weil sie in ihm den Garanten für die Freiheit Westberlins sahen. Kennedy sagte an jenem Tag die bereits historischen Worte: ,,Ich bin ein Berliner!"
Das Brandenburger Tor am 13. August 196118
5. Schluß
Die dramatischen Ereignisse des Jahres 1989 mit der Massenflucht von DDR-Bürgern über Ungarn und den Leipziger Montagsdemonstrationen führten nach wochenlangen Diskussionen um ein neues DDR-Reisegesetz dazu, dass der Ost-Berliner SED-Bezirkschef Günter Schabowski am 9. November 1989 gegen 19 Uhr in einer etwas unklaren Formulierung überraschend die Öffnung der Grenze für ,,Privatreisen nach dem Ausland" bekannt machte. Wenig später begann ein Sturm der Ost-Berliner nach West-Berlin. Am 10. November begannen Abrissarbeiten zur Schaffung zusätzlicher Grenzübergänge. Am 12. November wurde die Mauer am Potsdamer Platz geöffnet, am 22. Dezember erfolgte eine Öffnung am Brandenburger Tor für Fußgänger. Sogenannte ,,Mauerspechte" hämmerten Bruchstücke aus der Mauer, die dann vielfach als Souvenirs verkauft wurden.
Die Mauer ist nunmehr ein Teil der Geschichte Deutschlands. Sie bleibt den Deutschen im Gedächtnis als der Versuch, den freien Willen der Menschen durch gewaltsame Maßnahmen zu unterdrücken. Das deutsche Volk wurde fast dreißig Jahre durch die Mauer getrennt. Die Mauer ist längst gefallen, doch der Graben im Bewusstsein der Menschen, den die Mauer geschaffen hat, ist noch lange nicht beseitigt.